In der vergangenen Woche hat sich ein Gefühl bei mir gemeldet. Es hat sich seinen Weg in mein Bewusstsein gebahnt und wollte gesehen werden. Und gehört.
Es fing letzten Donnerstag mit der letzten Stunde des Befähigungskurses zur Sterbegbegleitung an. An dem Abend ging es um Trauer. Wir wurden von der Dozentin gefragt, ob eine von uns gerade akut trauert.
Ich zählte mich nicht dazu. Es war ja gerade akut keiner gestorben. Der Tod meines Hundes lag bereits über zwei Monaten zurück und mein Vater ist zwar im Hospiz, aber er lebt ja noch. Das eine war also schon „lange her“, das andere „noch kein Grund“.
Ja, klar.
Das sah die Trauer anders und als wir von unserer Erfahrung mit Trauer erzählen sollten, merkte ich, wie aktiv sie in meinem System war. Vor lauter Weinen bekam ich kaum ein Wort heraus. Während ich noch sprach, kamen mir auch noch andere Situationen hoch, in der die Trauer auch nochmal anerkannt werden wollten.
So viel zu „keine akute Tauer“ …
Am Samstag fuhr ich meinen Vater besuchen. Mein Bruder wollte auch kommen. Die Male, in denen wir im Erwachsenenalter alle zusammenkamen, können wir noch an einer Hand abzählen. Auch deswegen freute ich mich auf den Besuch.
Auf dem Weg dorthin telefonierte ich mit einer Freundin, deren Mutter gesundheitlich auf der Kippe stand. Sie wusste nie, ob ihre Mutter den nächsten Tag noch erleben würde. Unser Gespräch war sehr emotional und sehr stärkend. Es zeigte mir noch deutlicher auf, dass ich mich im Prozess befinde, nach und nach von meinem Dad Abschied zu nehmen.
Es war ein sehr schöner und lustiger Nachmittag. Wir haben auch über den Tod gesprochen und uns den Platz auf dem Friedhof angesehen, den er sich ausgesucht hatte und darüber gesprochen, wie die Beerdigung gestaltet werden soll. Wo wir gerade dabei waren, erwähnten wir auch, wie mein Bruder und ich beerdigt werden wollen. Es war alles ganz natürlich und entspannt.
Und gleichzeitig hatte die Trauer mich unbemerkt fest im Griff.
Auf der Fahrt nach Hause liefen die Tränen freizügig. Ich machte mir Vorwürfe, dass ich so traurig war. Ich weiß doch aus Erfahrung, dass ich mit meinem Dad auch nach seinem „Umzug in höhere Gefilde“ noch Kontakt haben kann. Das heißt, der Kontakt wird nicht abbrechen und ich habe gar keinen Grund, traurig zu sein. Also unterdrückte ich meine Trauer.
Gleichzeitig meldete sich mein inneres Kind mit seiner Trauer, denn der Kontakt mit meinem Dad riss plötzlich ab als ich sechs Jahre alt war und meine Mutter mit uns wegzog. Die Kleine kennt das Gefühl des Verlustes des Vaters und die Wunde wurde gerade neu aufgerissen. Mit ihr konnte ich Mitgefühl haben und sie in den Arm nehmen. Ich konnte ihr sagen, dass sie nicht alleine ist, ich war diesmal auch da. Das half und das Thema „Trauer“ war erstmal wieder abgehakt.
Heute Morgen hatte ich den Impuls, meine linke Hand zu Wort kommen zu lassen. Das ist eine Schreibübung, in der unterdrückte/unbewusste Anteile gehört werden können. Ich dachte zuerst, mein inneres Kind wäre am Start. Es stellte sich aber heraus, dass es die Trauer war.
Das Gespräch mit ihr war sehr erhellend. Sie fühlte sich ungesehen, nicht ernst genommen. Alles und jeder sei wichtiger als sie. Meine Einstellung zu ihr seien nicht ernst gemeinte Lippenbekenntnisse. Sie sagte, sie sei ein Teil des Teams, dem ich nicht viel Raum gebe oder Wert beimesse.
Sie wolle anerkannt werden. Es ginge nicht darum, sie loszulassen, denn sie gehöre mit zum Team. Sie will eine Rolle spielen, ihren Raum einnehmen dürfen. Trauer und Traurigkeit würden nicht gern gesehen. Macht die Stimmung kaputt. Das Gegenteil sei der Fall:
„Ich bin wie ein Kamm Deiner Gefühlswelt. Wenn Du mich nicht einsetzt, verfilzen Deine Gefühle. Leichtigkeit ade.“
Das Bild dieses „Kammes der Gefühlswelt“ arbeitet noch in mir. Es fühlt sich sehr stimmig an.
Heute Morgen telefonierte ich mit einer Freundin. Auch da kam das Gespräch auf Trauer. Während des Gespräches sah ich vor meinem geistigen Auge meine Vorfahren in einem Raum sitzen, alle schweigend leidend, denn auch für sie es gab früher keinen Raum für Trauer und Traurigkeit. Wir sahen uns in diesem Raum zum ersten Mal in unserem Leid. Wir sahen auch, dass wir nicht alleine waren. Und wir spürten die Liebe, die uns verbindet. Es war ein sehr heilsamer Prozess, für den ich sehr dankbar bin.
Das Thema Trauer wird mich mit Sicherheit noch eine Weile begleiten. Ich lerne weiterhin, ihr den Raum zu geben, den sie benötigt. Und ich lerne, mich meiner Traurigkeit und meiner Tränen nicht zu schämen. Sie nicht wegzudrücken. Ich lerne auch, schamlos alles zu betrauern, was betrauert werden möchte. Ohne Wertung, ohne Ausnahme. Und ich gebe mir die Zeit und den Raum dafür, dies in meinem Tempo zu lernen und auszuleben.
Mögest auch Du Deiner Trauer den Raum einräumen, den sie braucht, um Deine Gefühlswelt vor dem Verfilzen zu bewahren, das wünsche ich Dir.
0 Comments